SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Mit dem Handkarren durch die
Transcripción
SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Mit dem Handkarren durch die
SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Mit dem Handkarren durch die Stadt Müllsammler in Buenos Aires Autoren: Marika Gantz und Ruth Krause Redaktion: Ellinor Krogmann Regie: Maria Ohmer Sendung: Montag, 30.05.16 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ MANUSKRIPT Erzählerin: Es ist fünf Uhr nachmittags im Stadtviertel Liniers am Rande der Millionenmetropole Buenos Aires. Luciano steht mit seiner Frau Martina vor ihrer Hütte. Sie trinken MateTee, das Nationalgetränk in Argentinien. Die kleine Hütte mit dem Wellblechdach hat der 38-Jährige selbst vor vier Jahren gebaut. Auf den ersten Blick könnte man meinen, man sei mitten auf einer Müllhalde. Überall türmen sich Pappkartons, Plastikreste, Unrat - in einer Ecke stehen riesige Plastiksäcke bis oben hin vollgepackt. Luciano und seine Familie leben vom Müll, sie verkaufen ihn an Recyclinghöfe weiter. Die Hütte ist schon eine große Verbesserung für die Familie, denn vorher hatte sie noch nicht einmal ein Wellblechdach über dem Kopf. Aber Luciano will mehr. Atmo 0 vor dem Haus OT 1 (Luciano Diaz) Quiero dejar de vivir en rancho. Lo unico que quiero es una vision es por lo menos da un techo a mi familia y dale un porvenir para que dejemos sufriendo así. Ese es mi vision. Übersetzung Ich möchte nicht mehr in einer Hütte leben. Mein größter Wunsch ist es, meiner Familie ein richtiges Dach über dem Kopf zu geben, damit wir nicht mehr leiden. Atmo 2 Karren Erzählerin Nach dem Mate-Tee beginnt Lucianos hauptsächliche Arbeit: der schmächtige Argentinier holt seinen mannshohen Handkarren, der neben der Hütte steht. Der Karren ist aus Stahlteilen zusammengeschweißt, mit zwei Rädern bestückt und hat zwei Griffe. Vorne hängt ein kleines Glöckchen, das bei jeder Bewegung klingelt - Lucianos Glücksbringer. Seine beiden Töchter - Milagro Soledad und Silvana - helfen ihm. Im Müll suchen die drei nach Materialien, die sie weiterverkaufen können. Vor allem Pappkartons, aber auch Glas- und Plastikflaschen, Kunststoffe oder Metallreste interessieren sie. Gerade bleiben die drei vor einem großen grünen Müllcontainer am Straßenrand stehen und schauen hinein. OT 3 (Luciano Diaz) Todo eso lo que es reciclable podemos llevar. Es poquito lo que hay. Es poquito lo que hay. Vamos. Übersetzung Alles was man recyceln kann, nehmen wir mit. Aber hier ist nur wenig, wirklich wenig. Gehen wir! 2 Erzählerin Der Handkarren ist so breit, dass Luciano damit auf der Straße gehen muss, neben ihm fahren rücksichtslos die Autofahrer vorbei, einige schauen genervt oder hupen, wenn Lucianos Karren ihnen den Weg versperrt. OT 4 (Luciano Diaz) Aca siempre es peligroso, muchos autos, mucho trafico Übersetzung Hier ist es immer gefährlich, viele Autos und viel Verkehr. Erzählerin Die Drei ziehen von Müllcontainer zu Müllcontainer, langsam füllt sich der Handkarren. Jeden Tag macht Luciano diese Tour durch das Stadtviertel, auch an Sonn- und Feiertagen gönnt er sich keine Ruhe. Heute ist es zumindest trocken. OT 5 (Luciano Diaz) Los mas duro es cuando hay contraviento, cuando llueve. Eso es lo más duro que hay. Übersetzung Am unangenehmsten ist es, wenn es Gegenwind hat oder wenn es regnet. OT 6 (Luciano Diaz) Porque se va mojando el carton y se va mas abajo y pesa mas. O cuando levanto vidrio y lo recicla. Eso es lo mas pesado. Pero bueno, todo eso así todos los días, feriado o no feriado, a mí no me da. Übersetzung Weil dann der Karton nass wird, und wenn er nass ist, wiegt er mehr. Oder wenn ich Glas transportiere zum Recyceln, das ist am schwersten. Aber gut, so ist es eben. Jeden Tag auch an Feiertagen, für mich spielt das keine Rolle. Erzählerin Routiniert schaut Luciano in die Container; er weiß, was sich lohnt und was nicht. Stabile Pappkartons nimmt er am liebsten mit. Weil er selbst dünn ist und wenig wiegt, muss er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den Karren stemmen, um ihn aufzurichten. Dann zieht er weiter. Ein harter Job. OT 7 (Luciano Diaz) Si hay dias que te afecta cansa, cansa porque caminar, caminar y te duelen los brazos, los piernas, aparte de las rodillas, te cansa de todos los dias. Übersetzung Ja, es gibt Tage da fällt es mir schwer zu gehen, da tun mir die Arme weh, die Beine und die Knie, und das jeden Tag - das macht einen müde. 3 Erzählerin Seine Töchter Milagro und Silvana - 13 und 9 Jahre alt - gehen morgens in die Schule, abends helfen sie ihrem Vater. Die Ältere, Milagro Soledad, ist mittlerweile auf den Karren geklettert und sitzt auf dem immer größer werdenden Stapel Pappkartons. Ihre jüngere Schwester und ihr Vater werfen ihr neue Kartons hoch, sie reißt sie auseinander, damit mehr Material auf den Karren passt. OT 8 (Milagro Soledad) La primera vez no me gustaba, nunca me gustó. Porque me miraban los otras que no eran cartoneras. No me gustaba, pero ahora sí, me encanta. Übersetzung Beim ersten Mal hat es mir nicht gefallen. Weil die anderen, die nicht als Müllsammler arbeiten, mich angestarrt haben. Aber jetzt gefällt es mir. Erzählerin Mittlerweile gibt es so viele Müllsammler - sogenannte Cartoneros - in Buenos Aires, dass sie aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Zwischen 10 und 25 Tausend, je nach Schätzung. Doch viele Passanten mustern die drei misstrauisch und eine Passantin spricht aus, was viele denken. OT 9 (Passantin) Dicen que toman de bebida, que roban, piensan und montón de cosas. Porque no saben lo que hacen. Tienen desconfianza. Se desconfian mucho porque estan en la calle. Todas esas cosas. Übersetzung Man sagt, sie trinken und klauen. Man sagt ihnen eine Menge nach. Die Leute wissen nicht genau, was sie eigentlich machen und sie vertrauen ihnen nicht, weil sie auf der Straße arbeiten. Erzählerin Der Karren fährt gerade durch eine Straße mit vielen kleinen Geschäften. Trotz der Vorurteile, die viele Menschen haben, einige Geschäftsleute unterstützen den Familienvater auch – sie stellen ihre Kartons nicht vorher vor die Tür, sondern übergeben sie ihm direkt. Atmo 10 (Gespräch mit Geschäftsmann) Hola Babu!Hola!Como anda todo?Bien, le voy a buscar.Listo?Listo!Hasta manana! OT 11 (Luciano Diaz) Viendo la gente hasta ahora me estan ayudando, me ayudan mucho con el carton, con lo que voy reciclando, me estan ayudando, cada dia mas, no? Übersetzung Die Leute helfen mir, mit dem Karton. Mit dem, was ich recycle, helfen sie mir jeden Tag ein bisschen mehr. 4 Erzählerin Es ist sieben Uhr abends, es wird dunkel in Buenos Aires. Luciano und seine Töchter sind gerade in eine vielbefahrene mehrspurige Straße abgebogen, dicht neben dem mittlerweile voll bepackten Handkarren rasen Busse und Autos vorbei. OT 12 (Luciano Diaz) Aca tiene que peligro...cuidado! Übersetzung Hier muss man aufpassen, hier ist es gefährlich. Atmo 13 viel Verkehr OT 14 (Luciano Diaz) Si con el carro una vez por alla, se me rompi el parte del eje y tenia que quedar parado, despues tenia que llamar a mi senora, para que ella me lleva al aeropuerto. Y cuando me vieron con la carga me ayudaron con otro carro, pero esta carro estaba roto, tuve que comprar otro cuesto nuevo para preparar la vuelta. Übersetzung Einmal ist mir mein Karren kaputt gegangen, die Achse ist gebrochen und ich musste ihn stehen lassen. Ich habe dann meine Frau angerufen, damit sie mir hilft und ein paar Leute haben mir mit einem anderen Karren ausgeholfen. Aber ich musste erst mal Ersatzteile kaufen, um meinen alten zu reparieren und nach Hause zu bringen. Erzählerin In dem Karren stapelt sich mittlerweile die Pappe, auch ein riesiger Plastiksack, den Luciano hinten an den Wagen gehängt hat, füllt sich mehr und mehr. Rund 200 Kilogramm wiegt das Ganze jetzt - das ist anstrengend. Aber weniger aufladen will er nicht. Denn für jedes Kilo Karton bekommt er umgerechnet nur 10 Cent. OT 15 (Luciano Diaz) Cuando más levanto, más me da motivacion. Porque...Y eso es lo que cuesta. El sacrificio de levantar un montón. A veces llega por arriba. Übersetzung Manchmal reicht das Material bis ganz rauf! Je mehr ich ziehe, desto größer ist die Motivation. Und das ist es, was es eben schwer macht. Erzählerin Nach vier Stunden Arbeit hat Luciano umgerechnet 15 Euro verdient. Er würde gerne einen Teil davon sparen, aber die Familie braucht das Geld zum täglichen Leben. Sein großer Traum ist es, einen Lieferwagen zu besitzen. Damit könnte er mehr sammeln, die Arbeit wäre effizienter und weniger belastend. Doch um die umgerechnet 7000 Euro dafür zusammen zu sparen, wird er noch viele Jahre brauchen. Als sie wieder zu ihrer Hütte zurückkommen, ist es stockdunkel. Lucianos Frau Martina hat Eintopf gekocht mit Hühnchen und Kartoffeln. In der kleinen Wellblechhütte duftet es verführerisch. Die Hütte ist spartanisch eingerichtet, auf einer Fläche von zwölf Quadratmetern steht rechts der Herd, daneben ein Schrank, in der Mitte flimmert der 5 Fernseher und in der Ecke steht ein Bett. OT 16 (Martina) Ya está el fideo! Übersetzung Der Eintopf ist fertig! Atmo Unterhaltung beim Essen Erzählerin Es ist Besuch gekommen: Coco ist da, ein guter Freund der Familie. OT 17 (Coco) Hmm...que rico, Martina, de repasaste! Übersetzung Hmm...lecker, Martina, du hast dich selbst übertroffen! Erzählerin kommen. Coco ist einer der wenigen, die Luciano und seine Familie besuchen OT 18 (Luciano Diaz) No vee la Sociedad a nosotros que estamos acá en ese lugar. Pero despues, cuando el carro sale, sí, te empiezan a ver. Pero desde alla hasta aca desaparece. Y no se vee más. Übersetzung Die Gesellschaft nimmt uns hier nicht wahr. Erst, wenn wir mit dem Karren unterwegs sind, fangen die Menschen an, uns zu sehen, vorher nicht. OT 19 (Martina) Los primeros dias nos querian correr de aca, porque ellos piensan que nosotros eramos celombero, que tomamos, que hacemos cilombo y cuando al fin de poco vieron bien que vosotros somos un triste cartonero humilde, que no molestamos a la gente, entonces bueno, empezaron a confiar la gente en nosotros. Übersetzung Kurz nach unserer Ankunft wollten sie uns wegjagen. Viele dachten wir rauben und wir trinken, aber nach einiger Zeit, als sie merkten, dass wir arme Cartoneros sind, die niemanden belästigen, haben sie Vertrauen in uns gefasst. Erzählerin Bevor die Familie in diesen Stadtteil zog, wohnte sie außerhalb und Luciano fuhr mit einem Sonderzug, der extra für Cartoneros eingerichtet worden war, nach Buenos Aires, um Müll zu sammeln. Doch dann stellte der Bürgermeister den Betrieb des Zuges ein und der Familie blieb nichts anderes übrig als in die Stadt zu ziehen. Luciano selbst wuchs obdachlos auf, und die Schule musste er nach der vierten Klasse verlassen, um 6 Geld zu verdienen. Mal bettelte er, mal wusch er Autos. Dann kam er zum Müllsammeln. Atmo 21 Lieferwagen OT 22 ( Coco) Vamos, dale, dale! Como, adonde? A trabajar!! Übersetzung Auf geht's wir fahren. Wie, wohin? Zur Arbeit! Erzählerin Früher hat Coco genau wie Luciano mit einem Handkarren Müll gesammelt. Er hatte keinen Beruf gelernt und war obdachlos. Heute fährt er mit seinem Kollegen Pitú in einem Transporter durch die Stadt. Zusammen mit anderen Cartoneros hat Coco vor einigen Jahren eine Kooperative gegründet, „El Correcamino“ – übersetzt: der Straßenflitzer. Coco ist Lucianos großes Vorbild. OT 23 (Coco) Las problemas sociales son la falta de trabajo, la falta de vivienda, la falta de la educacion, la falta de oportunidades, entonces hemos decidido que hay un modelo donde, en vez de ver una problema en la basura, veamos una oportunidad. Übersetzung Es gibt keine Arbeit, keine Wohnungen, keine Bildung, keine Möglichkeiten - so sehen die sozialen Probleme hier aus. Also haben wir uns entschlossen, anstelle im Müll ein Problem zu sehen, eine Chance darin zu erkennen. Erzählerin Auf den Lieferwagen ist Coco sehr stolz, ein Sportfernseh-Sender der Stadt hat ihn gespendet - im Gegenzug fährt er mit deren Logo umher. Statt wie Luciano mit seinem Karren an jedem Müll-Container anhalten zu müssen, fährt Coco gezielt Unternehmen in Buenos Aires an, die ihn anrufen, wenn sich bei ihnen eine größere Menge Müll angesammelt hat. OT 24 (Coco) Ahora vamos a Sushi. Yo arrostraro un carro, hoy sale la situacion a sangre, se profesionaliza, por su propio interes de simplemente mejorar la vida. Ya vivimos mejor, que te parece? Übersetzung Jetzt fahren wir zum Sushiladen. Ich habe früher einen Karren gezogen, aber heute habe ich mich professionalisiert, einfach, um das Leben zu verbessern. Wir leben schon besser, nicht wahr? (die Frage richtet sich an seinen Beifahrer Pitu) Atmo 25 beim sushipop Hello! 7 Erzählerin Die Firmen rufen an und Coco holt den Müll ab, sortiert und entsorgt ihn – das alles kostet die Unternehmen keinen Cent. Das Geschäft brummt. Coco und die anderen fahren in mehreren Schichten den ganzen Tag durch die Stadt und kommen trotzdem kaum noch hinterher. OT 26 (Coco) La primera que meto en mi estangi en todo el dia. Ayy, cumbia nena! Ay, es muy placentero trabajar así. Übersetzung Das ist das Erste, was ich heute esse. Hey, Mädels, Party! Ach, es ist einfach schön, so zu arbeiten! Erzählerin Mit dem Lieferwagen kann er wesentlich größere Mengen Müll sammeln als früher mit dem Karren - und er kann die größeren Mengen dort verkaufen, wo es am meisten Geld dafür gibt - auch wenn das außerhalb der Stadt ist. OT 27 (Coco) Yo digo que el trabajo del cartonero se ha tranformado en una tarea amigable, amable, saludable, no? Übersetzung Die Arbeit eines Cartoneros ist gesünder und angenehmer geworden, stimmts? Erzählerin Sein Kollege Pitú nickt. Für Coco bieten die Flaschen, Metalle, Pappe- und Plastikreste einen Mehrwert für alle Beteiligten: OT 28 (Coco) Si fuera basura, no valdria nada, y productos postconsumos tienen un valor muy importante.Uno la recupera, otra la copia y otra se transforma en algo nuevo producto del mercado de consumo, eso es una cadena que generar multiple benificios, empezando por el dano egologico no se convierte en un dano, mucha gente trabaja de esto, vive de esto y generando una oportunidad de recuperacion. Übersetzung Wenn es Müll wäre, wäre es nichts wert, aber diese Produkte nach dem Konsum sind sehr wertvoll. Einer hebt den Müll auf, einer recycelt ihn und ein Anderer macht daraus ein neues Produkt. Das ist eine Kette und die hat viele Vorteile, auch für die Umwelt, weil ihr dadurch kein Schaden entsteht. Viele Leute arbeiten und leben davon, das ist eine große Chance des Recyclings. Erzählerin Müll als Chance - davon möchte Coco auch andere überzeugen. Deshalb versucht er immer wieder mit Menschen ins Gespräch zu kommen, besonders mit Kindern und Jugendlichen. Heute geht es zu einer Veranstaltung, bei der mehrere Schulklassen aus der Provinz Buenos Aires eingeladen sind. 8 Atmo 29 Kinder Erzählerin Die Schüler sollen lernen, wie man Müll richtig trennt, denn das geschieht in Argentinien bislang selten. Dabei ist Abfall ein immer größer werdendes Problem: die Müllberge wachsen. Mehr als 5000 Tonnen Abfall produziert allein die Metropole Buenos Aires jeden Tag. Und Verbrennungsanlagen wie in Deutschland gibt es nur wenige. Coco erklärt den Kindern, was er macht und warum Mülltrennung so wichtig ist. Atmo 30 Coco spricht vor Schülern Erzählerin Er und die anderen Mitarbeiter der Kooperative haben ein Lied aufgenommen und ein Video gedreht. Das zeigt Coco den Schülern: man sieht die Müllsammler bei ihrer Arbeit unterwegs und bei den Gesangsaufnahmen im Tonstudio. Atmo 31 Lied Initiative Erzählerin „Tu basura es mi tesoro“ – „Dein Müll ist mein Schatz“ singen sie. Die Schüler kommen aus Argentiniens Mittel- und Oberschicht. Für die meisten von ihnen ist es das erste Mal, dass sie einem Cartonero persönlich begegnen, denn diese leben oft weit entfernt von ihnen in Elendsvierteln am Rande der Stadt. OT 33 (Junge) Al principio yo pensaba que ellos son pagado por el estado, pero ahora me acabo enterar que ellos se valen por si mismos. Übersetzung Ich dachte sie werden von der Regierung bezahlt, aber jetzt habe ich erfahren, dass sie für sich selbst sorgen. OT 34 (Mächen) Es un comienzo para empezar a bajar la basura que hace en todo el pais y en todo el mundo, y que hace Coco esta bien, sacar la basura y reciclarla Übersetzung Es ist ein Anfang, um den Müll im Land und auf der Welt zu verringern! Was Coco macht finde ich gut, den Müll aufheben und wiederverwerten. Erzählerin Coco ist zufrieden – für ihn war die Veranstaltung ein voller Erfolg, in Richtung Verständigung innerhalb der Gesellschaft: OT 35 (Coco) Por allí hay un juicio valor de que nuestro mundo es peligroso, y no es asi, un individuo decide de rastrar un carro y devolver la basura, eso lo hace para evitar no convertirse 9 en un delinquente, eso creo que merece respeta, tu basura es mi tesoro, no la tires Übersetzung Sie denken unsere Welt ist gefährlich, aber so ist es nicht, ein Mensch entscheidet sich mit einem Karren Müll einzusammeln, das macht er um kein Straftäter zu werden, und ich finde das verdient Respekt. Dein Müll ist mein Schatz, also schmeiß ihn nicht weg. Erzählerin Den Müll nicht achtlos wegwerfen, sondern trennen, das ist Cocos Credo. Nach der Veranstaltung fährt er nochmal bei Luciano vorbei. Atmo 36 Hola Martina! Hola..... Er bringt ihm den Müll, den er bei seiner Tour am Morgen gesammelt hat, und sortiert ihn zusammen mit Luciano. Atmo 37 Hola Lucio, si, lo metemos en el carro? Lo pongo en un bulson el carton? En un bulson! Erzählerin Coco hat nicht vergessen, dass er früher selbst auf der Straße lebte. Jetzt möchte er seinen Freund unterstützen und ihm bei seinem Traum vom eigenen Haus für die Familie und vom Lieferwagen helfen. Geld zu sparen ist in Argentinien schwierig, denn die Inflation ist hoch: Luciano geht immer ein Teil des Ersparten verloren, weil der Peso stetig an Wert verliert. Der Müll ist daher ein wertvolles Geschenk für ihn. OT 38 (Luciano Diaz) Todo este carton, para llenar este cantitad del bulsón, me faltaría una noche, una noche, es mucho que me cuesta. Übersetzung Um dieses ganze Material zu sammeln, bräuchte ich eine ganze Nacht, das wäre ziemlich aufwändig für mich. OT 39 (Luciano Diaz) Gracias a Coco, porque el quiere tambien, quiere que nosotros sacamaos adelante, que sigamos, Coco siempre esta aqui por mi y mi familia, es mi mano derecho que me apoye, es como un hermano. Übersetzung Ich bin Coco sehr dankbar. Er will, dass wir nach vorne kommen, dass wir weitermachen - Coco ist immer für uns da, er ist meine rechte Hand, die mich unterstützt, er ist wie ein Bruder für mich. Atmo Luciano sortiert (leider sehr kurz) 10 Erzählerin Als Coco abgefahren ist, sortiert Luciano den Müll, den er in den letzten Tagen gesammelt hat, noch einmal durch und bereitet ihn für den Weiterverkauf vor. Martina, seine Frau, wäscht vor der Hütte die Wäsche. Zuerst mit der Hand, dann packt sie sie in eine Waschmaschine. Bei der Maschine fehlt die Klappe, andauernd spritzt Wasser heraus, aber sie läuft. Atmo 40 Wäsche waschen Erzählerin Wie ihr Mann wünscht sich auch die rundliche Frau mit den langen dunklen Haaren ein besseres Leben. OT 41/42 (Martina) Mi deseo es salir de aca y tener un negocio. El anelo de el es tener un autito una camioneta y salir a recoger los cartones. Y yo, mi proyecto es hacer pan casero, empanada, pizza, chorripan y vender. Ese es mi deseo, Y poder juntar toda esa plata y atraves de toda esa plata y atraves de todo lo que juntamos comprarnos una casa. Ya hace 4 años que estamos acá. Übersetzung Mein Wunsch ist es, hier wegzugehen und ein eigenes Geschäft zu betreiben. Er will einen Lieferwagen kaufen und mit dem Auto Müll sammeln. Ich möchte einmal Brot, Empanada, Pizza und Würstchen herstellen und verkaufen. Dafür wollen wir gemeinsam Geld sparen und dann das hier hinter uns lassen und uns eine Wohnung kaufen. Wir sind jetzt schon vier Jahre hier. Erzählerin Aber momentan sind sie noch von Lucianos Karren und seinen täglichen Touren abhängig. Noch können sie sich eine richtige Wohnung nicht leisten und noch mehr Müll sammeln geht nicht, denn der Lagerplatz vor der Wellblechhütte ist schnell voll. OT 43 (Luciano Diaz) Para comprarte un camión tiene que ahorar mucho. Tiene que juntar mucho. Tiene que tener mucho espacio. Pero el poco espacio que tengo no alcanza para comparte un camion. Pero lo poco lo que tengo lo gano. Übersetzung Um einen Lieferwagen kaufen zu können, muss ich viel sparen. Also muss ich viel sammeln und dafür braucht man viel Platz. Aber ich habe zu wenig Platz, der reicht für den Alltag, für mehr nicht. Erzählerin Der Müll ist sortiert, die weißen riesigen Säcke, die mit Lucianos Namen versehen sind, liegen neben der Hütte zur Abholung bereit. Alle paar Tage kommt ein LKW vorbei und holt sie ab. Atmo 44 LKW Säcke 11 Erzählerin Insgesamt zehn Säcke hat er in den letzten Tagen gesammelt - Jeder dieser Säcke wiegt zwischen 50 und 100 Kilogramm. Der Transporter bringt die Materialien kostenlos zu einer Müllsammler-Kooperative, der sich Luciano angeschlossen hat. Sie kauft Luciano Karton, Glas und Metall ab. Zu diesem Erlös bekommt er monatlich zusätzlich 150 Euro von der Kooperative. Denn diese wird vom Staat finanziell unterstützt, weil ohne die Cartoneros die städtische Müllabfuhr mit dem Müllsammeln nicht hinterher käme. OT 45 (Luciano Diaz) Para mi es mas comodo porque antes pagaba flete para que me lleven la mercadería a otros lugares. Pero ahora no, ahora no pago más flete. Übersetzung Für mich ist es bequemer. Vorher habe ich dafür gezahlt, dass mir jemand die Waren zu einem anderen Händler bringt. Jetzt muss ich keine Transportkosten mehr bezahlen. Erzählerin Der Karton wird nicht weggeschmissen oder verbrannt – in einem Recyclinghof wird er zunächst gepresst und dann weiterverkauft, letztlich entsteht daraus wieder neuer Karton. Atmo 46 Wertstoffhof Erzählerin Luciano ist dieses Mal mit zum Recyclinghof gefahren, denn heute ist Zahltag, er bekommt seinen Lohn für alles, was er in der letzten Woche gesammelt hat. Atmo 47 Geld zählen Erzählerin Früher hätte er mehr Geld dafür bekommen, aber die Preise für Karton sind in den letzten Monaten gefallen, erzählt eine Mitarbeiterin der Kooperative. Das hängt mit der Nachfrage zusammen, die je nach Jahreszeit variiert. OT 48 (Kooperativenmitarbeiterin) Bueno, a veces el carton nosotros lo tenenmos a 1,50, pero cuando lo bajan los precios nosotros, le bajamo al cartoneros tambien, ahora trae un peso veinte el carton. Y tenemos que seguir bajando porque si no, nos bajan los precios a la vuelta el carton. Übersetzung Manchmal bringt Karton 1,50 pro Kilo ein, aber wenn die Käufer uns den Preis drücken, müssen wir ihn auch beim Cartonero drücken. Im Moment liegt er bei 1,20 und wir müssen auch so weit runtergehen, weil sie auch uns weniger bezahlen. Erzählerin Trotz der niedrigeren Einnahmen: Luciano ist sehr glücklich mit seinem Wochenlohn, umgerechnet 120 Euro hat er heute bekommen. Auch dank Cocos großzügiger Spende. 12 OT 49 (Luciano Diaz) Con lo que sacé hoy so más que contenta. Por lo menos se vee la plata. Puedo comprar de comer. Con un poco de carton , todo lo que cultivé voy a poder seguir adelante. Übersetzung Mit dem was ich heute bekommen habe, bin ich mehr als zufrieden. Zumindest sehe ich ein wenig Geld, es reicht fürs Essen. Und ich werde vorwärts kommen. Erzählerin Auch wenn das Leben als Cartonero sehr hart ist, Luciano ist optimistisch: Er hofft eines Tages seinen Traum vom eigenen Heim für sich und seine Familie verwirklichen zu können. Einen großen Schritt in diese Richtung hat er inzwischen getan: Der Recyclinghof, zu dem er seinen Karton bringt, hat ihm vor kurzem einen Job angeboten: Dort arbeitet er jetzt täglich am Vormittag. Endlich ein regelmäßiges Einkommen für die Familie. 13